Am heutigen Sonntag veranstalteten wir, die Gruppe Gewisser Überdruss, ab 10:30 Uhr eine Kundgebung gegenüber der „alten Augenklinik“, wo die städtische Veranstaltung zum Gedenken an die „Mülheimer Bombennacht“ von 1943 stattfand.
Mit etwa 40 Teilnehmer_innen machten wir deutlich, dass ein solches Gedenken nicht losgelöst vom historischen Kontext des Nationalsozialismus abgehalten werden darf. Dabei gab es sowohl Verständnis und Wohlwollen einiger Teilnehmer_innen der Gedenkveranstaltung, die unsere Kritik teilten, als auch negative Reaktionen uns gegenüber. Letztere kamen von wenigen Personen, die lieber nicht mehr an den Nationalsozialismus erinnert werden wollen, aber auch nicht erklären konnten, weshalb sie eine Gedenkveranstaltung besuchen. Unsere Anwesenheit war also keinesfalls unbegründet.
Allerdings konnten wir leider die Einladung der OB Mühlenfeld, uns an der offenen Podiumsdiskussion zu beteiligen nicht wahrnehmen.Hierzu verwehrte und die Polizei den Zugang. Allerdings hatte, laut eines Besuchers, die Podiumsdiskussion gar keinen offenen Charakter, sondern bestand aus vier Zeitzeug_innen auf dem Podium, die vorgefertigte Fragen von Schüler_innen beantworteten. Bemerkenswert finden wir an dieser Veranstaltung, dass die Stadt sich vornimmt, eine Zeitzeug_innenveranstaltung zu veranstalten, dabei es aber versäumt, alle Gruppen von Zeitzeug_innen anzusprechen: Es wurden weder ehemaligen Zwangsarbeiter_innen eingeladen, noch Insass_innen des Arbeitserziehungslagers am Flughafen, keine ehemaligen Inhaftierten, welche die Bombennacht im Freien und nicht von Bunkern geschützt erleben durften.
Um 12:30 Uhr löste sich die Kundgebung auf. Anschließend fand um 13:00 am Synagogenplatz, eine von uns veranstaltete antifaschistische Demonstration gegen Geschichtsrevisionismus und deutsche Opfermythen statt. Die ungefähr 80 Teilnehmer_innen hörten Redebeiträge zu den verschiedenen Orten, welche die Demonstration besuchte. Am Haus Bahnstr. 44 verwiesen wir auf das Schicksal der Familie Meyer und eines von insgesamt neun früheren sog. „Judenhäusern“. Am Mahnmal der Opfer beider Weltkriege wurde in einem Redebeitrag auf die Ursachen der deutschen Opfermythenbildung eingegangen. Der Zug der Demonstration ging weiter zur Straße „An den Sportstätten“, welche mitten auf dem Gelände der ehemaligen Militärkaserne liegt, welche auch die das Gestapo -gefängnis und das ehemalige Kriegsgefangenlager beherbergte .Die Demonstration endete gegen 15 Uhr auf dem Kurt- Schumacher- Platz, wo mit einem Redebeitrag die Rolle der Presse, insbesondere der WAZ, benannt wurde. Der Redebeitrag ist an diese Pressemitteilung angefügt. Hiernach wurde die Versammlung ohne Zwischenfälle aufgelöst.
Noch ein Wort zur Berichterstattung: Die Zeitzeug_innen-Berichte in der WAZ-Serie zur „Bombennacht“ wurde durchweg unkritisch und ohne historischen Kontext veröffentlicht. Ohne die sicherlich traumatisierenden Erlebnisse der Zeitzeug_innen herunter spielen zu wollen, haben wir von Anfang an kritisiert, dass die Veröffentlichungen die Einordnung in den deutschen Faschismus vermissen ließen -als seien die Bomben tatsächlich aus heiterem Himmel gefallen.
Erst am 18.6. änderte sich die Berichterstattung der WAZ teilweise, indem unsere Kritik endlich zur Kenntnis genommen und zitiert wurde. Gleichzeitig wurde dort die Veranstaltung, jedoch nochmals von den städtischen Initiator_innen OB Dagmar Mühlenfeld und Stadtarchivsleiter Dr. Kai Rawe als legitim dargestellt. Beide zeigten sich, im Artikel, von unserer Kritik persönlich verletzt. Darauf können wir nur erstaunt zurück fragen: Warum haben Sie sich nicht über die unhistorischen Veröffentlichungen in der WAZ beschwert,wodurch ihre gesamte Veranstaltung letztlich als unkritisch und geschichtsvergessen gelesen werden musste?
Gerade durch die Aufnahme unserer Kritik – oder auch durch kritischere Artikel wie am 22.6. in der Mülheimer NRZ – und durch das nun um so deutlichere Betonen des historischen Kontextes durch die Veranstalter_innen der städtischen Gedenkveranstaltung, bewerten wir unsere Kampagne als klaren Erfolg. Und damit nicht genug: Die Ausstellungen zu „Widerstand und Verfolgung in Mülheim 1933-1945“ und „Neofaschismus in Deutschland“ im Autonomen Zentrum, in der Auerstr. 51, laufen noch bis zum 30.6. und werden von mehreren Veranstaltungen begleitet. Wir laden alle Interessierten herzlich dazu ein vorbei zu schauen. Weitere Informationen sind unter www.az-muelheim.de zu finden.
Fotos der Veranstaltungen und die gehaltenen Redebeiträge werden in Kürze auf diesem Blog zu finden sein.